Ein längerer, Ende letzten Jahres erschienener Artikel von Kris De Decker, beschäftigt sich intensiv mit der Geschichte der “Fruit Walls”: des Mauerspaliers, wie ich es übersetzt habe.
Die kleine Eiszeit dauerte etwa von 1550 bis 1850. Sie brachte einige spezifische Probleme mit sich: vor allem für die Kultivierung von Obst. Während viele Pflanzen davor problemlos in ganz Europa gezogen werden konnten, wurde es nun so kalt, dass man einfache und effektive Maßnahmen entwickeln musste, um die Produktion weiter aufrecht zu erhalten. Und das Glashaus war noch längst nicht erfunden.
Kurz nachdem sich die Kälte in Europa breitgemacht hat, 1561, hat der Schweizer Botaniker Conrad Gessner beobachtet, dass Feigen und Johannisbeeren früher und länger reifen, wenn man sie nahe an Mauern pflanzt, idealerweise, wenn die Mauer nach Süden ausgerichtet ist. Der Grund dafür: die Mauer speichert die Wärme des Tages und gibt sie über Nacht langsam wieder ab. Von da an hat sich das Mauerspalier in Mittel- und Nordeuropa bis Holland und England hinauf rasch durchgesetzt, nicht nur für die Kultivierung von Pfirsichen und Äpfeln, sondern auch für Wein und Beeren.
Immerhin: stehen mehrere Mauern eng beisammen, kann das Mikroklima in dem geschützten Bereich um bis zu 10°C wärmer werden als draussen. Ein Vorteil, der die Auswirkungen der kleinen Eiszeit mehr als ausgleicht. Im französischen Montreuil standen 1870 knapp 600km dieser Mauern.
Mit der Zeit wurde die Mauer nicht mehr alleine genutzt. Um besonders kalte Tage zu überbrücken wurden zuerst Glasscheiben gegen die Wand gelehnt und später auch fix verbaut: das Anlehnglashaus war erfunden. Erst als gegen Anfang des 20. Jahrhunderts die Produktion von Glasplatten erheblich vereinfacht wurde und der Preis für Energie fiel, wurde die Wand aus den Glashäusern entfernt; die Wand, mit der alles angefangen hatte.
Jedes Spalierobst im Garten greift auf das gleiche Prinzip zurück – eigene Mauern werden inzwischen aber selten errichtet, um Obst daran reifen zu lassen. Hat man eine alte Ziegelwand im Garten, bietet sie sich aber genau dafür an – ohne gleich an einen Abriss denken zu müssen.
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